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18.10.2022

Wie weit reicht die Fluggastrechte-Verordnung im Streikfall?

Im letzten Jahr mehrten sich die Bilder von überfüllten Flughäfen. Das liegt nicht zuletzt an Streiks. Was bleibt Flugpassagieren aber, wenn ihr Urlaubswunsch am Flughafen aufgrund dessen zerplatzt? Kann die Fluggesellschaft Ansprüche aufgrund des Arbeitskampfes abstreiten? Neben dem nationalen Recht soll die europäische Fluggastrechteverordnung ein einheitliches Schutzniveau schaffen.

Die Verordnung regelt in Art. 7 einen Ausgleichsanspruch (i.H.v. 250€ bis 600€) und in Art. 8 einen Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung gegen das Luftfahrtunternehmen. Die Voraussetzungen ergeben sich vor allem aus Artikel 4 und 5.

Art. 5 betrifft die Annullierung des Fluges, wobei der Anspruch bei vorheriger Unterrichtung entfallen kann. Je später die Fluggesellschaft ihre Passagiere informiert, desto mehr muss sie tun, um den Fluggästen eine angemessene Alternative zu bieten. Eine Exkulpierung kann zudem durch den Nachweis erfolgen, dass „die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“. In Erwägungsgrund 14 wird als solcher Grund auch der Streik genannt. Hier sollte der Rechtsanwender sich vor einer Pauschalisierung hüten. Einerseits kann zwischen betriebsinternen und -externen Streiks differenziert werden. Auch Vorhersehbarkeit und Beherrschbarkeit des Geschehens sind zu beachten. Letztere wird bei einem Streik zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen in der Regel nicht abzustreiten sein. Nur Ausfälle, die sich nicht etwa durch vorherige Reorganisation der Betriebsabläufe hätten vermeiden lassen, sollen exkulpieren. Es kommt also auf den Einzelfall an.

Zum anderen regelt Art. 4 die Nichtbeförderung. Im Unterschied zur Annullierung hebt der Flieger hier ab. Erfasst sind nicht nur Fälle von Überbuchungen, sondern nach der Rechtsprechung des EuGH in Finnair/Lassooy auch betriebliche Gründe, wie Streikmaßnahmen. Hier bedarf es einer ausdrücklichen Kundgabe gegenüber dem Fluggast. Es bietet sich folglich an, bei angekündigtem Streik mehr Zeit am Flughafen einzuplanen, um einen der heiß umkämpften Plätze zu ergattern. Das wird die Fluggesellschaft meist auch empfehlen. Eine Nichtbeförderung läge aber schon nicht vor, wenn es „vertretbare Gründe“ für die Weigerung gäbe. Aufgrund des divergierenden Wortlauts sind bei der Auslegung andere Maßstäbe als bei Art. 5 anzulegen. Einen Streik hat die Rechtsprechung bisher aber nicht als vertretbaren Grund eingestuft.

Im Ergebnis bietet das Europarecht einen Mindestschutz, der bereits am Flughafen eingefordert werden kann. Ein Streik ist noch kein Grund, die Passagiere „hängen zu lassen“, sondern gebietet gerade ein erhöhtes Maß an Entgegenkommen.